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Friedhofszwang verfassungswidrig?

Friedhofszwang verfassungswidrig?

„Letzte Ruhe am Kaminsims?“ – Warum der Friedhofszwang für Urnen verfassungswidrig sein könnte

In der jüngsten Ausgabe der NVwZ – Online erschien ein vielbeachteter Aufsatz von Prof. Dr. Dagmar Felix mit dem Titel „Letzte Ruhe Kaminsims? – Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen rechtlicher Vorgaben für die Bestattung“RSW (hier ist der entsprechende Aufsatz jeweils verlinkt)


Der Beitrag beschäftigt sich intensiv mit der Frage, ob der in nahezu allen deutschen Landesbestattungsgesetzen verankerte 
Friedhofszwang, insbesondere im Hinblick auf Urnenbeisetzungen, noch mit den Vorgaben des Grundgesetzes vereinbar ist.


Als Verband unabhängiger Bestatter e. V. sehen wir in diesem Rechtsaufsatz eine willkommene fachliche Unterstützung für eine Öffnung und Modernisierung des Bestattungsrechts – gerade mit Blick auf die Umsetzung von Trauerwünschen und die Wahlfreiheit der Verstorbenen und Angehörigen.


1. Was besagt der Friedhofszwang heute?

  • In praktisch allen Landesgesetzen ist geregelt, dass Leichname bzw. Asche grundsätzlich nur auf Friedhöfen beizusetzen sind – das sogenannte Friedhofsgebot bzw. FriedhofszwangRSW
  • Manche Bundesländer erlauben in Ausnahmefällen eine Beisetzung oder Ausbringung außerhalb eines Friedhofs – allerdings meist nur nach einem behördlichen Ermessen oder unter sehr engen Voraussetzungen. RSW
  • In Bremen gibt es ein etwas progressiveres Modell: Unter strengen Voraussetzungen ist dort eine gebundene Entscheidung vorgesehen, d. h. ein Anspruch auf Ausnahme, soweit alle Kriterien erfüllt sind. RSW
  • Üblich sind zudem Regelungen, die verlangen, dass der gewünschte Ort öffentlich zugänglich, würdig gestaltbar und dauerhaft pflegbar ist, und dass keine überwiegenden öffentlichen Belange entgegenstehen. RSW

Diese gesetzlichen Vorgaben führen dazu, dass viele individuelle Wünsche – etwa die Urnenruhe im eigenen Garten, in der Nähe eines besonderen Ortes oder an einem privaten Grundstück – in der Praxis ausgeschlossen sind.


2. Verfassungsrechtliche Kritik: Welche Grundrechte sind betroffen?

Prof. Dr. Felix argumentiert, dass der Friedhofszwang im konkreten Kontext der Urnenbeisetzung mehrere verfassungsrechtliche Grundrechte berühren könnte:


a) Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)

Schon zu Lebzeiten können Menschen in einer Verfügung oder Bestattungsverfügung ihren Wunsch formulieren, dass ihre Urne an einem bestimmten Ort aufgegeben werden soll. Der Friedhofszwang verhindert oft die rechtliche Wirksamkeit solcher Wünsche. Damit greife der Staat in die grundrechtliche Handlungsfreiheit ein. RSW


b) Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG)

Der Aufsatz vertritt die Auffassung, dass das Persönlichkeitsrecht Aspekte enthält, die auch über den Tod hinaus wirken können – insbesondere in Form eines Anspruchs auf respektvolle und dem individuellen Lebensvollzug entsprechende Bestattung. Der Friedhofszwang begrenze den Gestaltungsspielraum bei der letzten Verfügung und könne damit in die Persönlichkeitssphäre eingreifen. RSW


c) Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG)

Ein besonders sensibles Thema ist die Frage, ob der Friedhofszwang mit dem postmortalen Würdeschutz kollidiert. Wer möchte schon, dass seine Asche zwingend an einem Ort beigesetzt wird, der dem eigenen Wunsch widerspricht und als unangemessen empfunden wird? Der Beitrag diskutiert, inwieweit eine solche Pflicht eine Verletzung der Menschenwürde darstellen kann. RSW


d) Weitere Grundrechte (Art. 4 GG – Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit)

In Einzelfällen könnte auch die Freiheit religiöser oder weltanschaulicher Bestattungswünsche betroffen sein, wenn der Gesetzgeber in zu rigider Weise die Wahlfreiheit einschränkt. RSW


3. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit: Eingriff und Rechtfertigung

Ein bloßes Aufzeigen von Grundrechtseingriffen reicht nicht – es kommt auf die Rechtfertigung des Eingriffs an:

  • Der Friedhofszwang stellt nach Felix’ Analyse einen realen, finalen hoheitlichen Eingriff in die Grundrechte dar, da der Staat durch das gesetzliche Verbot (bzw. die Weigerung, Ausnahmen zu gewähren) zu Lebzeiten oder durch Verfügung bestimmte Bestattungswünsche faktisch aushebelt. RSW
  • Für eine Verfassungsmäßigkeit muss der Eingriff geeignet, erforderlich und angemessen sein (Verhältnismäßigkeitsprinzip). Felix hinterfragt insbesondere die Angemessenheit: Ist es verhältnismäßig, alle Urnen strikt auf Friedhöfen zu zwingen, wenn die gesundheitlichen Gefahren (bei Urnenasche) ohnehin kaum gegeben sind? RSW
  • Ein zentrales Argument: Die ursprünglich historischen oder hygienischen Gründe für den Friedhofszwang verlieren an Gewicht, wenn moderne Kremierungs- und Bestattungstechniken bereits Risiken minimieren.
  • Zudem wird naheliegend, dass individuelle Wünsche zur Gestaltung der letzten Ruhestätte – insbesondere bei der Asche – eine größere Bedeutung bekommen sollten, sofern keine schwerwiegenden öffentlichen Belange entgegenstehen.
  • Felix deutet an, dass Landesgesetzgeber in neuen Bestattungsgesetzen weniger restriktiv sein könnten oder müssten, um verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden. RSW


4. Bedeutung für unabhängige Bestatter und Handlungsmöglichkeiten

Für uns als Verband unabhängiger Bestatter ergeben sich aus dieser juristischen Diskussion einige unmittelbare Anknüpfungspunkte:

  • Der Rechtsaufsatz stärkt argumentativ den Ruf nach einer liberaleren Gesetzgebung im Bestattungswesen – insbesondere bei Urnen.
  • Bei Gesetzesreformen auf Landesebene (oder neuen Bestattungsgesetzen) könnten wir uns mit dieser verfassungsrechtlichen Perspektive in Stellung bringen und auf Öffnung drängen.
  • Für Angehörige und Sterbewillige kann diese Argumentation ein wichtiges Instrument sein, um Wünsche nach alternativen Bestattungsformen stärker zu legitimieren - vielleicht auch gerichtlich.


5. Fazit: Ein Schritt in Richtung Wahlfreiheit und Respekt

Der Aufsatz „Letzte Ruhe Kaminsims?“ liefert eine fundierte, problemorientierte Analyse, die zeigen kann: Der Friedhofszwang für Urnen ist keineswegs rechtlich unantastbar. Verfassungsrechtliche Argumente sprechen dafür, dass eine zu starre Gesetzgebung rechtsstaatlich nicht mehr zu rechtfertigen ist.


Für den Verband unabhängiger Bestatter e. V. bietet dieser Rechtsaufsatz eine willkommene intellektuelle Unterstützung: Wir können ihn in unsere Argumentation bei Gesetzesinitiativen, politischen Gesprächen und Öffentlichkeitsarbeit einbeziehen. Letztlich geht es darum, der Individualität, dem letzten Willen und der Würde der Verstorbenen mehr Raum zu geben – jenseits starrer Verwaltungszwänge.


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